Versorgungspreis 2004
G.A.I.N. Glutaric Aciduria Type I International Network, Förderlaufzeit 2004 - 2006
„Kindness for Kids“ unterstützt das „G.A.I.N.“-Projekt (UniversitätsKlinikum Heidelberg, Projektleitung: Dr.med. Stefan Kölker), wodurch eine Interaktionsplattform für Grundlagenwissenschaft und klinische Forschung auf dem Gebiet der Glutarazidurie Typ I geschaffen werden konnte. Neben koordinatorischen Aufgaben dient dieses Projekt der Systematisierung der Datenerhebung und der Etablierung einer internationalen Patientendatenbank, der Unterstützung einer Leitlinien-Entwicklung für diese Erkrankung sowie der Bereitstellung aktueller Informationsmaterialien
1. Leitlinien:
Dieses Projekt dient der Generierung von Leitlinien für:
·Neugeborenen- und selektives Screening
·Diätetische und pharmakologische Basistherapie
·Therapiemonitoring
·Notfalltherapie
·Management erworbener Bewegungsstörungen
Das Projekt wurde im Oktober 2003 im Anschluss an den 3rd International Workshop for Glutaryl-CoA Dehydrogenase Deficiency (Heidelberg) initiiert. Die Leitliniengruppe ist international und gemäß fachbereichspezifischer Expertise zusammengesetzt.
In 2005 gelang es die internationalen Leitlinien zu verabschieden.
2. Internationale Patienten-Datenbank:
In dieser Datenbank werden in systematischer Weise klinische, laborchemische, enzymatische, molekulargenetische, neuroradiologische und sozioökonomische Daten internationaler Patienten gesammelt. Aufgabe dieser Datenbank ist eine detaillierte Beschreibung des klinischen Verlaufs, der Morbidität und der Mortalität betroffener Patienten sowie die Untersuchung der Beeinflussbarkeit des natürlichen Verlaufs durch diagnostische (z.B. erweitertes Neugeborenenscreening) und therapeutische Massnahmen und andere, nicht-medizinische Faktoren (z.B. sozioökonomische Faktoren). Bislang wurden bereits 279 Patienten aus Europa, Nord- und Südamerika, Afrika und Asien in die Datenbank aufgenommen.
Die o. g. Analyse wird durch die Datenerhebung im Rahmen einer internationalen Follow up-Studie frühdiagnostizierter Patienten ergänzt. Diese Studie dient insbesondere der Optimierung aktueller Therapiemassnahmen.
3. Information und Schulung:
Dieses Unterprojekt dient der Information und Schulung betroffener Patienten und deren Familien sowie interagierender Stoffwechselzentren. Hierfür sollen folgende Materialien erarbeitet und die nachstehenden Veranstaltungen durchgeführt werden:
·Regelmässige Informationsveranstaltungen mit der Selbsthilfegruppe „Glutarazidurie e.V.“
·Informationsmaterial für Dauer- und Notfallbehandlung
·Notfallausweis
·FAQs (=frequently asked questions)-Datenbank
·Workshop zur Erarbeitung eines Videoprotokoll zur Dokumentation von Bewegungsstörungen im Kindesalter
·Workshop zur entwicklungsneurologischen Evaluation mittels Bayley Scales of Infant Development (BSID-II).
Was ist Glutarazidurie Typ I?
Die Glutarazidurie Typ I ist eine erstmals 1975 von Goodman und Mitarbeitern beschriebene, angeborene neurometabolische Erkrankung im Abbau der Aminosäuren Lysin, Hydroxylysin und Tryptophan, die mit einer mittleren Prävalenz von ca. 1 : 100.000 Neugeborenen weltweit auftritt (Lindner et al 2004) , wobei eine wesentlich höhere Frequenz in einigen Hochrisikofamilien und –gruppen (z. B. Amish Community [USA] , Oji-Cree-Indianer [Canada] ) zu beobachten ist (Greenberg et al 2002; Strauss et al 2003).
Unbehandelt entwickelt die überwiegende Mehrzahl betroffener Kinder eine akute enzephalopathische Krise, die durch katabole Stoffwechsellagen (fieberhafte Infekte, Impfungen, Operationen) ausgelöst wird und in aller Regel zu einer bilateralen Schädigung der Basalganglien (Putamen > Nucleus caudatus > Globus pallidus) führt. Die meisten enzephalopathischen Krisen ereignen sich bis zum 3. Lebensjahr, nach dem 6. Lebensjahr wurden keine Krisen mehr beobachtet. Somit ist das Auftreten dieser prognostisch relevanten Krisen auf ein relativ enges Zeitfenster begrenzt bleibt. Neuen Berichten zufolge gibt es jedoch vermutlich eine adulte Manifestationsform dieser Erkrankung, die sich als Leukoenzephalopathie mit unterschiedlicher neurologisch-psychiatrischer Manifestation, aber ohne striatale Schädigung, präsentiert (Külkens et al 2005) . Bislang ist nur relativ wenig über den Langzeitverlauf und über chronische ZNS-Veränderungen bei dieser Erkrankung bekannt, was durch die relativ kurze Follow up-Dauer bei den meisten Patienten bzw. die deutlich eingeschränkte Lebenserwartung vieler Patienten nach einer stattgefundenen Enzephalopathie zu erklären ist. Durch Einführung des Elektrospray-Ionisationstandemmassenspektrometrie (MS/MS)-basierten, erweiterten Neugeborenen-Screenings und bei frühzeitig diagnostizierten Kindern in Hochrisiko-Familien konnte durch eine frühzeitige Behandlung (Lysinrestringierte Diät, Carnitinsupplementation, intensivierte Notfalltherpie) das Auftreten neurologischer Komplikationen während der vulnerablen Phase (d.h. bis zum 6. Lebensjahr) von 95 % auf 10 % (Heidelberg; Dublin) bzw. 35 % (Amish Community) gesenkt werden (Übersicht: Kölker et al 2004) .
Biochemisch ist die Erkrankung durch die Akkumulation der Glutarsäure (GA), 3-Hydroxy-
glutarsäure (3-OH-GA) und Glutarylcarnitin in Körperflüssigkeiten und Geweben
charakterisiert. Der intrazelluläre Mechanismus der 3-OH-GA-Produktion sowie Transport- und Verteilungsmechanismen im betroffenen Organismus sind bislang noch weitgehend unverstanden. Erste systematische Untersuchungen der gewebespezifischen Konzentrationen dieser organischen Säuren wurden anhand von post mortem-Untersuchungen im ZNS verstorbener Patienten untersucht. Hierbei konnte nachgewiesen werden, dass Glutarsäure in einer Konzentration von ca. 1-2 mmol/l und 3-Hydroxyglutarsäure in einer Konzentration von 50-100 µmol/l im ZNS unbehandelter Patienten nachweisbar war (Funk et al 2005) , wobei erheblich niedrigere Konzentrationen bei diätetisch behandelten Patienten gefunden wurden (Bennett et al 1986; Kölker et al 2003) , . Diese Untersuchungen ergaben einen ersten Hinweis darauf, dass eine Senkung der GA- und 3-OH-GA-Konzentrationen im ZNS unter einer lysinrestringierten Diätbehandlung möglich ist.
Eine Senkung der zerebralen GA- und 3-OH-GA-Konzentrationen ist nach pathophysiologischen Vorstellungen als erstrebenswertes Therapieziel anzusehen, da GA und 3-OH-GA offensichtlich eine Rolle in der Pathogenese der Erkrankung spielen. Die aktuellen pathophysiologischen Konzepte basieren im wesentlichen auf der Annahme, dass GA und 3-OH-GA als (schwache) endogene Neurotoxine wirksam werden, die unter Vermittlung von im Rahmen fieberhafter Infektionen auftretenden Verstärkermechanismen die prognostisch relevante neuronale Schädigung im Bereich der Basalganglien induzieren können (Übersicht: Kölker et al 2004) . Zudem wurde kürzlich nachgewiesen, dass die akkumulierenden organischen Säuren in vitro eine Apoptose bei unreifen Oligodendrozyten induzieren, was möglicherweise einen Basismechanismus für die Entwicklung einer Leukoenzephalopathie darstellen könnte (Gerstner et al. 2005) .
Auf der Grundlage der bisherigen Untersuchungen lässt sich somit eine Beziehung zwischen den akkumulierenden organischen Säuren und der Neuropathogenese einerseits und der Senkung dieser organischen Säuren als wichtiges therapeutisches Ziel andererseits formulieren. Das Wissen um die Bedeutung der organischen Säuren GA und 3-OH-GA für die Glutarazidurie Typ I ist jedoch weiterhin sehr eingeschränkt. Eine enge Interaktion grundlagenwissenschaftlicher und klinisch-therapeutischer Projekte ist erforderlich, um zum einen das Verständnis der Schlüsselmechanismen dieser Erkrankung besser als bislang zu begreifen und zum anderen um das Disease Management für diese Patienten zu optimieren.
Auszeichnung des Studie zur Glutarazidurie Typ I mit dem Horst-Bickel-Award
Kindness for Kids ist als Förderer der Studie freut sich über die Anerkennung der hervorragenden Leistung des Forscherteams um Herrn PD Dr. med Stefan Kölker. Die größte Freude dürfte wohl aber bei den von Stoffwechselerkrankungen geplagten Kindern liegen. Vom Erfolg der ausgezeichneten Studie beflügelt, möchte sich Herr PD Dr. med Kölker mit seinem Team einem neuen Forschungsfeld, der Methylmalonazidurie zuwenden. Es besteht die berechtigte Hoffnung, dass das Engagement dieses exzellenten Teams zu ähnlich guten Ergebnissen wie bei der Glutarazidurie Typ I führen werden kann.

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